Montag, 12. November 2007

Part III: More Darkness but also more Light

Um 11 überrede ich Wojtek, sich nun langsam auf den Weg zu machen, denn wir haben für später einen Termin in der Alhambra und er muss vorher noch was essen. Es reicht, wenn ich nicht hinkann, er soll es sich auf jeden Fall ansehen, an meiner Stelle wird Hanna mitgehen. Kurz darauf gibt eine meiner „Supporterinnen“ auf und geht, denn es hat sich noch gar nichts getan und sie wartet schon ewig. Als hätte der Doc nur darauf gewartet öffnet sich nun die Tür, die nette Frau vom Anfang verschwindet darin. Ich warte. Als sie herauskommt bin ich zu langsam, schon verschwindet der nächste Patient, außerdem stelle ich gerade erst fest, das wirklich alle anderen einen Termin haben. Neue Leute kommen an, schauen alle auf eine Liste, erkundigen sich ob alle daraufstehenden Namen da sind und machen die Reihenfolge aus. Ich stelle fest: Termine werden hier im DREI-Minuten-Takt vergeben, kein Wunder ist alles um 2h nach hinten verschoben, welches Arztgespräch dauert schon 3 min?


Als mal wieder über die Reihenfolge geredet wird, zeige ich meinen Zettel. Allerdings bringt mir dies nur komische Blicke ein. Beim nächsten Mal als die Tür aufgeht versuche ich meinen Arm mit Zettel todesmutig durch die sich bereits wieder schließende Tür zu schieben. Ich werde jedoch von allen Seiten angezischt und ziehe ihn kleinlaut wieder ein. Ich sei nicht an der Reihe, ich solle gefälligst warten bis ich dran sei. „Aber ich muss doch diesen Zettel abgeben“ sage ich. Erneut Gezische. Von Support nicht die Spur. Ich verstehe nicht genau was man sagt „ja ja, NUR was abgeben“ oder „ich muss auch nur was abgeben“, auf jeden Fall hört es sich feindselig an. Ich ziehe mich zurück, weine still vor mich hin und warte.

Um halb 12 kommt Wojtek vom Essenkaufen nochmal kurz vorbei und ist entrüstet, als ich ihm erkläre, dass man mich den Zettel nicht abgeben lässt. Nur mit Mühe kann ich ihn daran hindern einen Aufstand zu entfachen, ich habe keine Kraft für eine Auseinandersetzung mit so vielen wütenden Spaniern. Ich hoffe jedoch, bald dranzukommen, denn es sind nur noch 4 Leute da. Wojtek verabschiedet sich widerwillig, um 12 sitze ich noch immer da, inzwischen sind wieder mehr Wartende hinzugekommen. Ich dränge mich in einem Anfall von Trotz irgendwann vor und geben den Zettel ab. Leider reichen weder meine Spanischkenntnisse noch meine Stimme aus um zu erklären, dass ich mich nicht vordrängen will, sondern durchaus bereit bin zu warten, bis ich an der Reihe bin, dass ich aber leider nie an der Reihe sein werde, wenn ich den Zettel nicht abgeben darf. Der Arzt wirft einen Blick darauf, schaut mich ebenfalls an als würde ich mich vordrängen wollen, meint „ja ja, einer nach dem andren“ und legt ihn weg. Ich warte weiter. Die Einzige, die offensichtlich Schmerzen hat und völlig kaputt ist, bin ich. Ich frage mich, ob die Spanier alle auf Termin krank werden.

Eine ältere Frau, neu hinzugekommen, steht auf, kommt zu mir, setzt sich neben mich und stellt sich vor. Anna heißt sie und sie fragt: „Dir geht es sehr schlecht, oder?“ Natürlich fange ich gleich wieder an zu weinen, denn Trost ist in solchen Situationen ein Tränengarant. Schlimm ist das. „Ja“, sage ich, „ich habe solche Schmerzen im Hals und keinen Termin“ (was für sie wohl etwas Zusammenhangslos gewesen sein muss). Sie steht auf und meint „Ich will mich nicht anstecken.“ „Oh je“, denke ich, „nun habe ich die auch wieder vertrieben, wahrscheinlich weil mein Spanisch so schlecht ist.“ „Meine Tochter hat gestern ein Baby bekommen“ fährt sie jedoch fort „und wenn ich krank bin kann ich es nicht mehr halten“. Dann bedeutet sie mir mitzukommen, da sie vor den anderen nicht sprechen mag. Sie fragt, was los sei und ich erzähle ihr von meinen Schmerzen. „Wegen körperlichen Schmerzen weint man nicht“, sagt sie, „dagegen gibt es Medizin“. „Klar“, sage ich, „aber ich habe keinen Termin und so komme ich nicht zum Arzt.“ „Wegen körperlichen Schmerzen weint man nicht“, wiederholt sie, „sondern wegen Schmerzen der Seele.“ „Ich weine auch nicht wegen der körperlichen Schmerzen“, entgegne ich, „sondern weil alle so unfreundlich zu mir sind. Seitdem ich hier bin meckern mich die Leute nur an“. Sie lässt mich erzählen. Dann sagt sie „Du fühlst dich allein und einsam. Ich habe auch viel Seelenschmerz erleiden müssen. Mein Mann ist gestorben. Und ich habe ihn so sehr geliebt. Von Krankenhaus zu Krankenhaus sind wir gefahren“ (sie fängt an zu weinen). „Kurz darauf ist meine Mutter gestorben.“ Sie erzählt, wie sie über zwei Jahre lang fast ständig alleine geweint hat und wie schlimm das für sie war. Ich fühle mich ganz schlecht, weil ich wegen so einer Kleinigkeit weine. Aber wenn man krank ist und sich noch dazu nicht wehren kann, weil man die Sprache nicht beherrscht, dann ist man eben doppelt empfindlich und empfindet Ungerechtigkeiten doppelt so schlimm. Dann erzählt sie nochmals von ihrem Enkel Nummer Drei. Ich freu mich mit ihr und denke mir „Wie nahe doch Glück und Traurigkeit beieinander liegen und wie schön, dass es nach all dem Tod ein neues Leben gibt“. Ich sage ihr das und sie meint „ja, seit ihrer Geburt [der Enkel] kann ich auch wieder Fotos meiner Mutter ansehen. Vorher tat es zu sehr weh, aber die Kleinen sehen ihr so ähnlich...“


Plötzlich kommt eine der Wartenden, eine Frau, die mich zuvor auch nicht hineinließ und erzählt etwas auf Spanisch. Anna nimmt mich resolut an der Hand, führt mich zur Tür und erklärt dem Arzt und den Anwesenden, dass er mich jetzt gefälligst dran nehmen soll. Ich bin ihr so dankbar. Der Arzt hört sich meine Geschichte an, entscheidet, dass ich eine bakterielle Mandelentzündung habe, wenn ich ihn richtig verstanden habe, verschreibt mir die Schmerzmittel, die ich eh schon nehme und ein Antibiotikum. Ich setze alle Hoffnung in das Antibiotikum und gehe. Ich bedanke mich nochmals überschwänglich bei Anna und diese erklärt sie werde mich noch zur Apotheke begleiten. Sie hat in der Zwischenzeit, wenn ich sie richtig verstehe, wohl den anderen Anwesenden erklärt, dass sie mich doch gefälligst hätten vorgehen lassen sollen oder mir zuhören. Diese hätten gemeint, „aber sie konnte doch kein Spanisch“ (Frechheit. Als ob sie sich die Mühe gemacht hätten das herauszufinden). Woraufhin Anna ihnen erklärt hat: „Und wenn schon, stellt euch doch mal vor ihr seid im Ausland und werdet krank, dann versteht ihr die Sprache auch nicht. Wollt ihr dann nicht, dass man euch hilft?“

Eine unglaublich nette Frau. Nachdem wir noch eine Weile geredet und die Telefonnummern ausgetauscht haben, lädt sie mich ein, sie in ihrem Dorf zu besuchen. Dann erklärt sie mir noch mal, dass sie mich nicht umarmen und küssen kann, weil sie sich nich anstecken darf und dass sie leider gehen muss, weil sie ja schließlich einen Arzttermin hat. Leider werde ich mich wohl nicht trauen anzurufen, da das auf spanisch schon übel schwer und außerdem sehr teuer ist. Besuchen würde ich sie schon eher. Mal schauen was daraus wird Auf jeden Fall komme ich zuhause an und es geht mir schon viel besser, einfach weil ich einen so lieben Menschen kennen lernen durfte. Wojtek und Hanna haben sich auch gut verstanden, findet zumindest Wojtek, der sagt: Es war witzig, die Hanna ist cool. Das freut mich, denn ich mag die Hanna ja schließlich

Leider haben die Medikamente gegen die physischen Schmerzen weit weniger geholfen, als Annas liebe Worte gegen den seelischen. Sie wurden schlimmer und ich hatte am nächsten Morgen eine weitere Reise Odyssee hinter mir, vom Empfang im Gesundheitszentrum zu meinem Arzt, von dort zum Spezialisten, zurück zum Gesundheitszentrum, zum Arzt, zur Apotheke, bis ich nach 5 Stunden und unerträglichen Schmerzen endlich ein wirksames Schmerzmittel in Händen hielt. Die beiden Ärzte waren sich etwas uneins hinsichtlich der Diagnose, bakteriell vs. viral und Angina vs. Katarrh, das war mir jedoch egal, glücklich, erschöpft aber seit drei Tagen zum ersten Mal schmerzfrei, zog ich mich mit meiner Superdosis Schmerzmittel in mein Bett zurück. Irgendetwas aus dem verschriebenen Medikamentencocktail oder aber Wojteks gute Pflege haben übrigens geholfen, es geht mir wieder besser.

Alles in allem, war es ein Riesenglück, dass Wojtek da war, mir den Rücken stärken konnte gegen alle Ungerechtigkeiten, mich mit Tee versorgen und für mich kochen konnte, mein Gejammer anhörte ohne zu murren und einfach für mich da war. Hach, ich liebe ihn einfach

Trotzdem tat es mir unglaublich leid, dass ich nun so mit mir und meinem Schmerz beschäftigt war, anstatt mit ihm und dass ich ihm so wenig von Granada zeigen konnte. Da wären sie dann wieder, die zwei Seiten aller Dinge.




3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ohje, du Arme. Das klingt wirklich nach Tortour und ich kann mir sehr gut vorstellen wie du dich gefühlt haben musst. Ich find das unmöglich wie die noch motzen können und dich so behandeln, wenn sie doch sehen müssen wie besc.. es dir geht!!?? Versteh einer manche Leute. Aber zum Glück gibt es, hin und wieder..., solche Engel wie Anna! Freut mich!

Maradus hat gesagt…

Das Schlimmste sind Leute in Gruppen. Sobald sie in Gruppen sind, wie in jenem Warteraum, werden sie doof. Da traut sich keiner zu konkreten Aussagen, aber wenn von allen Seiten so ein dummes Gezische und Genörgle kommt, hat das trotzdem Wirkung.
Immerhin gibt es einige Wenige mit Herz und Courage. Wäre doch toll, die Frau einmal in ihrem Kaff zu besuchen. Die hat bestimmt ganze Bände über ihren Enkel zu erzählen.

Anonym hat gesagt…

Oh mensch, du arme. Das war ja eine Odysee!
Auf der anderen Seite hast du einen richtigen Engel kennenlernen dürfen. Besuch die Frau. Solche Menschen kreuzen nicht oft unseren Weg.
Wie gehts dir denn jetzt?
Ich hoffe, dir gehts besser jetzt und schick dir einen lieben Gruß aus dem Schnee.
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