Freitag, 23. November 2007

Wie spanische Gelassenheit meinen Puffer torpedierte

Wie hoffentlich alle wissen, hat Kris Notebook den Geist aufgegeben. Vollkommen von der Heimat und der spanischen Außenwelt abgeschnitten ist die größte Sorge der tapferen Blogerin die Aktualität ihres Granadablogs. So wurde ich um einen Gasteintrag in ihrer Abwesenheit gebeten, möglichst informativ, gehaltvoll und relevant soll er sein. Ich glaube, die Abreise aus Granada zum Flughafen in Malaga dürfte einige von euch tangieren.


„Ich möchte ein Ticket nach Malaga, bitte. - „Das macht 11 Euro.“ - „Danke sehr.“ Soweit die Theorie. Ein Ticket zu bekommen scheint einfach und schnell zu gehen. PUSTEKUCHEN. Vergesst dieses Gedankenexperiment ganz schnell, in Spanien läuft das alles anders. Doch der Reihe nach.


Als erfahrener Globetrotter habe ich viel Puffer in meinen Rückreiseplan eingebaut. Puffer vor der Abreise des Busses nach Malaga, Puffer fürs Umsteigen in den Flughafenbus und Puffer für alle Eventualitäten auf dem Flughafen. Großzügigen zeitlichen Puffer.

Eine halbe Stunden sollte für die obigen drei Sätze reichen, ja. Selbst, wenn ich auf dem Weg zum Fahrkartenschalter in eine Sitzblockade von rosa Pinguinen geraten sollte, hätte ich noch genügend Zeit, meinen Fahrschein zu bekommen – hätten die Spanier nicht ein grundlegendes Element des Schlange stehens vergessen: Ab und an muss es auch vorwärts gehen. Statt dessen fand ich eine rappelvolle Schalterhalle vor, wirklich rappelvoll. Und in der tat sich nichts. Neun Schalter allein für meine Busgesellschaft, und die waren dem Ansturm der potentiellen Passagiere nicht gewachsen. Eine riesengroße Stehparty. Es fehlten nur noch die Cocktails auf den Trolleykoffern. Ernsthaft, die Schlangen bewegten sich nicht, keine einzige. „Kein Problem“, sagt ich zu mir aufmunternd, „ich habe mehrfach Puffer eingebaut“, und schloss verlängert nächstbeste Schlange um ein Glied. Fünfzehn Minuten später – fünfzehn Minuten VOR der Abfahrt des Busses – habe ich kaum Fortschritte machen können und freundete mich allmählich mit dem Gedanken an, einen späteren Bus zu besteigen und dann in einer halsbrecherischen und sündhaft teueren Taxifahrt zum Flughafen zu kommen. Inzwischen habe ich den digitalen Tableaux entnommen, dass jeder Bus zur vollen Stunde abfährt. Wir saßen alle im selben Boot.


Zehn Minuten vor Abfahrt hat sich tatsächlich etwas getan, ich habe nur noch
sieben Leute vor mir. Ich habe Hoffnung. Wenn nur drei von denen plötzlich sterben, zwei wegen Drogenmissbrauchs festgenommen und ein weiterer mich freundlicherweise vorlässt, könnte ich es noch schaffen! Und dann passiert es. Auf dem Höhepunkt der Spannung, wenn alle Nerven der Passagiere blank liegen, wenn es jeder, ich wiederhole: JEDER eilig hat, weil sein Bus gleich abfährt und er noch kein Ticket hat, und scheinbar JEDER einen Flug erreichen muss, was macht da eine waschechte Spanieren, die hinter Panzerglas am Computer sitzt und all diese Schicksale in den Händen hält? Was macht diese Person, zehn Minuten vor der vollen Stunde, zu der Zeit, die über alles entscheidet, die selbst entscheidend ist, in der alle genervt, gehetzt und besonders gottesfürchtig sind? Na? Sie macht Feierabend.12.50 Uhr. Sie packt ihre Geldkassette zusammen, steht auf und geht. Es war ihr wohl zuviel, dieser ganze Trubel.

In diesem Augenblick war es totenstill vor unserem Schalter. Alle starrten der Frau mit der Macht in den Händen nur ungläubig nach. In solchen Momenten resigniert man. Hisst die weiße Fahne ob der gnadenlosen „Gelassenheit“ der Spanier. Ich überlegte, was ein Taxi nach Malaga kosten würde. Fünf Minuten vor der vollen Stunde bequemt sich ein Herr von der Gegenschicht, den leeren Platz hinter dem Panzerglas einzunehmen. Mittlerweile wusste jeder auf der anderen Seite, warum der Schalter gepanzert ist. „Und ich weiß, was Panzerglas durchdringen kann, du fauler, ignoranter, apatischer, flegmatischer Gegenschicht-Mensch“, dachte ich mir in einem Moment der Klarheit. Er wälzte sich in seinem Stuhl, aber machte keine Anstalten, mit der Arbeit zu beginnen. Alle drängelten schon.


Es ist dreizehn Uhr, der Bus sollte jetzt abfahren. Ich stehe ich immer noch hinter mehreren Menschen, die ihre Tickets nicht bekommen. Um mich herum nur nuschelndes spanisches Gemurmel. „.....mamama....“, dringt zu mir durch. Kurz darauf wieder ein „.... ma na ma....“ Plötzlich bekomme ich Hoffnung. Ich setze alles auf eine Karte. Ich verlasse die Schlange, gebe meinen kostbaren Platz auf und folge diesem einem bestimmten Gemuschel. Da steht ein Mann, und redet irgendwas. Ich glaube, die Laute kamen von ihm. Ich tippe ihn an und frage: „Malaga?“ „Si, Manama“, antwortet er, „number 12.“ „But I have no ticket“, sage ich. „Ticket on bus“, erwidert er. Ohne mich zu verabschieden wetze ich im Schweinsgalopp die Rolltreppe runter zum Busteig zwölf.


Ein Tipp noch an alle: Habt das Geld passend. Ihr erspart euch eine Blamage und werdet nicht zum Gespött des gesamten Reisebusses, wenn ihr das Geld passend habt. Glaubt mir. Die Spanier lachen sehr gerne. Und sie fassen gerne an.


Im Folgenden wurde auch mein Puffer, den ich fürs Umsteigen in Malaga und alle Un-Fälle auf dem Flughafen eingeplant hatte, an der „estación“ in Malaga durch zahlreiche verlassene Baustellen aufgebraucht. Ich kam zum meinem Gate am Flughafen, als mit dem boarding begonnen wurde.

Die Moral der Geschichte: Plant wirklich sehr, sehr viel Puffer ein. Die Spanier wissen vortrefflich, wie man ihn torpedieren kann.

Montag, 12. November 2007

Illness, Darkness & Light

Tja, letzte Woche hat sich mir mein geliebtes Spanien leider von einer sehr hässlichen Seite gezeigt und hätte es nicht zwischendurch immer wieder Lichtschimmer gegeben, so hätte wohl meine Begeisterung einen ziemlich empfindlichen Dämpfer erfahren. Doch in mitten der Dunkelheit habe ich auch meinen „Guardian Angel“ gefunden und mal wieder festgestellt: Wo immer es unmenschliche, unfreundliche, grausame und ungerechte Menschen gibt, gibt es auch mitfühlende, liebe, und freundliche Menschen, nur schreien die anderen lauter. Außerdem war diese Woche trotz allem auch eine Woche der Freude und der schönen Momente, denn Wojtek war da. Doch der Reihe nach.

Part I: Illness

Ich kränkelte bereits seit ein paar Tagen herum, mal war’s mehr der Magen, dann wieder der Kopf, und in Aussicht des langerwarteten Besuchs versuchte ich mich sogar zu schonen und blieb nahezu zwei Tage im Bett. Schließlich wollte ich gerne fit sein, wenn mein Schatz da ist, gesund und schön, nicht krank und fertig. Am Freitag abend war es dann soweit, ich konnte ihn endlich vom Busbahnhof abholen und fühlte mich auch schon wieder besser. Leider war es nun aber mit der Schonung vorbei, man will ja schließlich so viel wie möglich aus der kurzen Zeit, die man zusammen hat herausholen. Meine Freunde sollte er kennen lernen (deshalb haben wir gleich zwei Mal Hannas Geburtstag gefeiert^^), die Stadt, meine Uni, kurz: mein Leben hier. Und natürlich sollte auch Zeit zu zweit bleiben.

Es kam wie es kommen musste, montags hatte ich meine Stimme verloren, die Halsschmerzen ließen sich nicht mehr unterdrücken, ein stärkeres Schmerzmittel aus der Apotheke musste her, dieses half jedoch auch nicht, die Morgenstunden des Dienstag wurden zur Marter – für mich und für Wojtek, den ich um 8 Uhr aus dem Bett warf, ich resignierte. Wir machten uns auf zum Arzt. Oder besser gesagt: zum Gesundheitszentrum. Dorthin muss jeder, der einen Arzttermin haben möchte. Die Allgemeinärzte sind gleich dort untergebracht und auch die Termine für Spezialärzte erhält man hier. Hört sich soweit ganz praktisch an, doch das einzig wirklich positive an diesem Zentrum ist, dass es glücklicherweise nicht weit von mir ist.

Part II: Darkness and a little Light

Dort angekommen, stehen wir vor einer Riesenschlange. Die Schmerzen sind trotz Schmerzmittel und diversen Hausmittelchen kaum besser, die Vorstellung ewig warten zu müssen schreckt mich, ich möchte dass es aufhört weh zu tun, ich stelle mich an. Nach einer Weile frage ich eine Frau, ob ich hier denn auch richtig sei. Dies fällt mir schwer, denn meine Stimme ist quasi nicht mehr da. Die Frau erklärt mir, sie sei nicht sicher, aber dort drüben bei der Information bekäme man für manche Ärzte Termine, ich solle doch mal schauen. Wenn ich dort falsch sei würde sie mich wieder reinlassen. Ich mache mich auf zur Information, dort ist die Schlange viel kürzer, allerdings hat das nichts zu sagen, wie ich schnell feststelle, die Information ist nämlich nicht besetzt. Nach einer Weile erkundige ich mich erneut ob ich denn überhaupt richtig sei und man schickt mich wieder zurück in die erste Schlange. Hilfesuchend sehe ich mich um, die Frau von vorher ist inzwischen auch in der quasi ziellosen Informationsschlange, entschuldigt sich für die Fehlinformation und bringt mich an meinen alten Schlangenplatz zurück.

Es ist 10 Uhr und ich habe seit 3 Stunden ziemliche Schmerzen. Die Frau hinter mir fängt nun an sich ätzend darüber zu äußern, dass man sich normalerweise hinten anstellt, wenn man die Schlange verlässt. Ich sage: „Es tut mir leid, aber ich kenne doch das System hier nicht und man hat mir gesagt, ich solle in die andere Schlange und nun hieß es...“ „Wenn ICH die Schlange verlasse muss ich auch wieder hinten anstehen“ erklärt sie mir unerbittlich und unbeeindruckt davon, dass ich offensichtlich Ausländer bin, kaum sprechen kann, tierische Schmerzen habe und den Tränen der Verzweiflung nahe bin. Das ist dann zuviel für mich, ich weiß nicht, aber wenn es mir schlecht geht, dann komme ich mit solchen Ungerechtigkeiten nicht gut zurecht. Ich fange an zu weinen, gehe aus der Schlange und stelle mich hinten an. Wojtek teilt der Frau unseren Dank mit. Ich fühle mich soo hilflos. Als ich endlich an der Reihe bin und dem Mann hinterm Schreibtisch erklärt habe, dass ich Schmerzen habe und einen Arzt sehen möchte, sagt dieser: „Ja, haben sie denn schon einen Arzt hier?“ Habe ich natürlich nicht. „Dann müssen sie zuerst das Formular dort ausfüllen. Der nächste bitte“

Ich könnte schon wieder weinen, denn ich stehe wieder außerhalb der Schlange, mit einem Formular in der Hand und ohne Stift. Wojtek organisiert Gott sei Dank einen für mich, wir füllen das Formular aus und stellen uns resigniert zum dritten Mal an. Erneut an einem der Schreibtische angekommen, dieses Mal bei einer Frau, braucht selbige mindestens 15 min um all meine Daten einzugeben, Ausweis und Krankenkarte zu kopieren, fünfmal alles nachzufragen und mir einen Doktor zuzuweisen. Dann schreibt sie mir einen Zettel: „Bitte um einen außerordentlichen Termin“, unterschreibt ihn und trägt mir auf, diesen vorzuzeigen, wenn oben, bei meinem Arzt, der gerade Sprechstunde hat, die Türe aufgeht. Ich gehe hoch und stelle fest: da warten bereits 9 Leute. Unter anderem die Frau, die mir zuvor helfen wollte, indem sie mich wieder an meinen alten Platz in der Schlange brachte.

„Das ist das arme Mädchen, von dem ich ihnen erzählt habe“ sagt sie zu ihrer Sitznachbarin. Und wiederholt gleich noch mal für sämtliche anderen Anwesenden meine traurige Geschichte. Alle anwesenden Frauen regen sich tierisch auf, „Wenn ich mir vorstelle, meine kleine Tochter sei im Ausland und würde nichts verstehen und ihr passiere so was...“ meint die eine Frau, „Wie ungerecht“, hört man von einer anderen. Bei so viel Mitgefühl muss ich gleich wieder weinen. Ich erzähle, dass ich endlich angekommen noch ein drittes Mal anstehen musste, weil ich das Formular ausfüllen musste, erneut werden Laute des Missfallens laut. Ich bin gerührt.

Part III: More Darkness but also more Light

Um 11 überrede ich Wojtek, sich nun langsam auf den Weg zu machen, denn wir haben für später einen Termin in der Alhambra und er muss vorher noch was essen. Es reicht, wenn ich nicht hinkann, er soll es sich auf jeden Fall ansehen, an meiner Stelle wird Hanna mitgehen. Kurz darauf gibt eine meiner „Supporterinnen“ auf und geht, denn es hat sich noch gar nichts getan und sie wartet schon ewig. Als hätte der Doc nur darauf gewartet öffnet sich nun die Tür, die nette Frau vom Anfang verschwindet darin. Ich warte. Als sie herauskommt bin ich zu langsam, schon verschwindet der nächste Patient, außerdem stelle ich gerade erst fest, das wirklich alle anderen einen Termin haben. Neue Leute kommen an, schauen alle auf eine Liste, erkundigen sich ob alle daraufstehenden Namen da sind und machen die Reihenfolge aus. Ich stelle fest: Termine werden hier im DREI-Minuten-Takt vergeben, kein Wunder ist alles um 2h nach hinten verschoben, welches Arztgespräch dauert schon 3 min?


Als mal wieder über die Reihenfolge geredet wird, zeige ich meinen Zettel. Allerdings bringt mir dies nur komische Blicke ein. Beim nächsten Mal als die Tür aufgeht versuche ich meinen Arm mit Zettel todesmutig durch die sich bereits wieder schließende Tür zu schieben. Ich werde jedoch von allen Seiten angezischt und ziehe ihn kleinlaut wieder ein. Ich sei nicht an der Reihe, ich solle gefälligst warten bis ich dran sei. „Aber ich muss doch diesen Zettel abgeben“ sage ich. Erneut Gezische. Von Support nicht die Spur. Ich verstehe nicht genau was man sagt „ja ja, NUR was abgeben“ oder „ich muss auch nur was abgeben“, auf jeden Fall hört es sich feindselig an. Ich ziehe mich zurück, weine still vor mich hin und warte.

Um halb 12 kommt Wojtek vom Essenkaufen nochmal kurz vorbei und ist entrüstet, als ich ihm erkläre, dass man mich den Zettel nicht abgeben lässt. Nur mit Mühe kann ich ihn daran hindern einen Aufstand zu entfachen, ich habe keine Kraft für eine Auseinandersetzung mit so vielen wütenden Spaniern. Ich hoffe jedoch, bald dranzukommen, denn es sind nur noch 4 Leute da. Wojtek verabschiedet sich widerwillig, um 12 sitze ich noch immer da, inzwischen sind wieder mehr Wartende hinzugekommen. Ich dränge mich in einem Anfall von Trotz irgendwann vor und geben den Zettel ab. Leider reichen weder meine Spanischkenntnisse noch meine Stimme aus um zu erklären, dass ich mich nicht vordrängen will, sondern durchaus bereit bin zu warten, bis ich an der Reihe bin, dass ich aber leider nie an der Reihe sein werde, wenn ich den Zettel nicht abgeben darf. Der Arzt wirft einen Blick darauf, schaut mich ebenfalls an als würde ich mich vordrängen wollen, meint „ja ja, einer nach dem andren“ und legt ihn weg. Ich warte weiter. Die Einzige, die offensichtlich Schmerzen hat und völlig kaputt ist, bin ich. Ich frage mich, ob die Spanier alle auf Termin krank werden.

Eine ältere Frau, neu hinzugekommen, steht auf, kommt zu mir, setzt sich neben mich und stellt sich vor. Anna heißt sie und sie fragt: „Dir geht es sehr schlecht, oder?“ Natürlich fange ich gleich wieder an zu weinen, denn Trost ist in solchen Situationen ein Tränengarant. Schlimm ist das. „Ja“, sage ich, „ich habe solche Schmerzen im Hals und keinen Termin“ (was für sie wohl etwas Zusammenhangslos gewesen sein muss). Sie steht auf und meint „Ich will mich nicht anstecken.“ „Oh je“, denke ich, „nun habe ich die auch wieder vertrieben, wahrscheinlich weil mein Spanisch so schlecht ist.“ „Meine Tochter hat gestern ein Baby bekommen“ fährt sie jedoch fort „und wenn ich krank bin kann ich es nicht mehr halten“. Dann bedeutet sie mir mitzukommen, da sie vor den anderen nicht sprechen mag. Sie fragt, was los sei und ich erzähle ihr von meinen Schmerzen. „Wegen körperlichen Schmerzen weint man nicht“, sagt sie, „dagegen gibt es Medizin“. „Klar“, sage ich, „aber ich habe keinen Termin und so komme ich nicht zum Arzt.“ „Wegen körperlichen Schmerzen weint man nicht“, wiederholt sie, „sondern wegen Schmerzen der Seele.“ „Ich weine auch nicht wegen der körperlichen Schmerzen“, entgegne ich, „sondern weil alle so unfreundlich zu mir sind. Seitdem ich hier bin meckern mich die Leute nur an“. Sie lässt mich erzählen. Dann sagt sie „Du fühlst dich allein und einsam. Ich habe auch viel Seelenschmerz erleiden müssen. Mein Mann ist gestorben. Und ich habe ihn so sehr geliebt. Von Krankenhaus zu Krankenhaus sind wir gefahren“ (sie fängt an zu weinen). „Kurz darauf ist meine Mutter gestorben.“ Sie erzählt, wie sie über zwei Jahre lang fast ständig alleine geweint hat und wie schlimm das für sie war. Ich fühle mich ganz schlecht, weil ich wegen so einer Kleinigkeit weine. Aber wenn man krank ist und sich noch dazu nicht wehren kann, weil man die Sprache nicht beherrscht, dann ist man eben doppelt empfindlich und empfindet Ungerechtigkeiten doppelt so schlimm. Dann erzählt sie nochmals von ihrem Enkel Nummer Drei. Ich freu mich mit ihr und denke mir „Wie nahe doch Glück und Traurigkeit beieinander liegen und wie schön, dass es nach all dem Tod ein neues Leben gibt“. Ich sage ihr das und sie meint „ja, seit ihrer Geburt [der Enkel] kann ich auch wieder Fotos meiner Mutter ansehen. Vorher tat es zu sehr weh, aber die Kleinen sehen ihr so ähnlich...“


Plötzlich kommt eine der Wartenden, eine Frau, die mich zuvor auch nicht hineinließ und erzählt etwas auf Spanisch. Anna nimmt mich resolut an der Hand, führt mich zur Tür und erklärt dem Arzt und den Anwesenden, dass er mich jetzt gefälligst dran nehmen soll. Ich bin ihr so dankbar. Der Arzt hört sich meine Geschichte an, entscheidet, dass ich eine bakterielle Mandelentzündung habe, wenn ich ihn richtig verstanden habe, verschreibt mir die Schmerzmittel, die ich eh schon nehme und ein Antibiotikum. Ich setze alle Hoffnung in das Antibiotikum und gehe. Ich bedanke mich nochmals überschwänglich bei Anna und diese erklärt sie werde mich noch zur Apotheke begleiten. Sie hat in der Zwischenzeit, wenn ich sie richtig verstehe, wohl den anderen Anwesenden erklärt, dass sie mich doch gefälligst hätten vorgehen lassen sollen oder mir zuhören. Diese hätten gemeint, „aber sie konnte doch kein Spanisch“ (Frechheit. Als ob sie sich die Mühe gemacht hätten das herauszufinden). Woraufhin Anna ihnen erklärt hat: „Und wenn schon, stellt euch doch mal vor ihr seid im Ausland und werdet krank, dann versteht ihr die Sprache auch nicht. Wollt ihr dann nicht, dass man euch hilft?“

Eine unglaublich nette Frau. Nachdem wir noch eine Weile geredet und die Telefonnummern ausgetauscht haben, lädt sie mich ein, sie in ihrem Dorf zu besuchen. Dann erklärt sie mir noch mal, dass sie mich nicht umarmen und küssen kann, weil sie sich nich anstecken darf und dass sie leider gehen muss, weil sie ja schließlich einen Arzttermin hat. Leider werde ich mich wohl nicht trauen anzurufen, da das auf spanisch schon übel schwer und außerdem sehr teuer ist. Besuchen würde ich sie schon eher. Mal schauen was daraus wird Auf jeden Fall komme ich zuhause an und es geht mir schon viel besser, einfach weil ich einen so lieben Menschen kennen lernen durfte. Wojtek und Hanna haben sich auch gut verstanden, findet zumindest Wojtek, der sagt: Es war witzig, die Hanna ist cool. Das freut mich, denn ich mag die Hanna ja schließlich

Leider haben die Medikamente gegen die physischen Schmerzen weit weniger geholfen, als Annas liebe Worte gegen den seelischen. Sie wurden schlimmer und ich hatte am nächsten Morgen eine weitere Reise Odyssee hinter mir, vom Empfang im Gesundheitszentrum zu meinem Arzt, von dort zum Spezialisten, zurück zum Gesundheitszentrum, zum Arzt, zur Apotheke, bis ich nach 5 Stunden und unerträglichen Schmerzen endlich ein wirksames Schmerzmittel in Händen hielt. Die beiden Ärzte waren sich etwas uneins hinsichtlich der Diagnose, bakteriell vs. viral und Angina vs. Katarrh, das war mir jedoch egal, glücklich, erschöpft aber seit drei Tagen zum ersten Mal schmerzfrei, zog ich mich mit meiner Superdosis Schmerzmittel in mein Bett zurück. Irgendetwas aus dem verschriebenen Medikamentencocktail oder aber Wojteks gute Pflege haben übrigens geholfen, es geht mir wieder besser.

Alles in allem, war es ein Riesenglück, dass Wojtek da war, mir den Rücken stärken konnte gegen alle Ungerechtigkeiten, mich mit Tee versorgen und für mich kochen konnte, mein Gejammer anhörte ohne zu murren und einfach für mich da war. Hach, ich liebe ihn einfach

Trotzdem tat es mir unglaublich leid, dass ich nun so mit mir und meinem Schmerz beschäftigt war, anstatt mit ihm und dass ich ihm so wenig von Granada zeigen konnte. Da wären sie dann wieder, die zwei Seiten aller Dinge.